Direkt zur Hauptnavigation springen Direkt zum Inhalt springen Zur Unternavigation springen

Die Illustrationen im Gotteslob

Zur Bedeutung der Zeichnungen von Monika Bartholomé

von Kerstin Ostendorf

Vieles ist neu im Gotteslob, doch eines fällt sicherlich sofort auf: die Kunst, vor allem die Zeichnungen von Monika Bartholomé. So einfach sie auch scheinen mögen, in ihnen steckt viel.

Die Werke im neuen Gotteslob von Monika Bartholomé sind nicht immer eindeutig. Schon der Einband des Gotteslobs ist neu: Wo früher ein schlichtes goldenes Kreuz die Hülle zierte, ist nun ein kunstvolles Dreieck zu sehen. Dreieck? Die drei geschwungenen Linien können aber – und das ist wahrscheinlicher – auch ein Kreuz bilden. Oder aber die Figur Jesu Christi, der uns mit offenen Armen empfängt und einlädt, zu beten und zu singen. Die drei Linien symbolisieren vielleicht aber auch die Dreifaltigkeit Gottes oder drei Wege, die sich zu einem Zentrum verbinden, zu einem Ort der Begegnung, wie es eben im Kirchenraum möglich ist.

Die Zeichnung auf dem Einband ist das Werk der Künstlerin Monika Bartholomé und zeigt: Ihre Werke, so einfach und schlicht sie auch aussehen, sind vielschichtig und bieten viele Möglichkeiten zur Interpretation.

Bilder als drittes Element zu Noten- und Schriftzeichen

Das erste Bild im Gotteslob, gleich zu Beginn des Stammteils, stammt aber nicht von der Kölner Künstlerin. Das Farbbild, ist eines, das viele kennen: der berühmte Ausschnitt aus Michelangelos »Erschaffung des Adam«. Zwei Zeigefinger bewegen sich aufeinander zu – die Hand Gottes kraftvoll und gestreckt, die Hand Adams herabhängend, so als würde er sich mit letzter Kraft Gott entgegenstrecken.

Das Original ziert die Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, dieser kleine Ausschnitt im Gotteslob zeigt aber bereits das Wichtige: Die ganze Spannung des Schöpfungsaugenblicks spiegelt sich darin wider. Der Betrachter wartet quasi darauf, dass der Lebensfunke Gottes auf Adam überspringt. Neben dem Bild steht eine Zeile des Psalms 150: Alles, was atmet, lobe den Herrn! Es ist wie ein Aufruf und ein Motto für das neue Gotteslob.

Neben insgesamt drei Farbbildern gestalten nur die Pinsel- und Bleistiftzeichnungen von Bartholomé das Gotteslob. Insgesamt fertigte sie über 600 Zeichnungen an, 19 haben es in den Stammteil geschafft und bilden nun neben den Noten und Schriftzeichen ein eher meditatives Element. »Mir war es wichtig, dass die drei Zeichenarten miteinander korrespondieren, ohne sich gegenseitig zu dominieren oder zu bedrängen«, sagt Bartholomé.

Die Zeichnungen wirken unterschiedlich: Die einen glaubt man auf den ersten Blick zu erkennen, bei den anderen fragt sich wohl nicht nur der Kunstbanause: »Was soll das sein?« Doch die Künstlerin hofft auf die richtige Wirkung: »Ich kann nur darauf vertrauen, dass meine Zeichnungen etwas zum Schwingen bringen. Es geht ja gerade nicht um richtig oder falsch. Ich wünsche mir, dass meine Zeichnungen etwas öffnen und keine eindeutige Interpretation brauchen«, sagt die Künstlerin.

Die Frage, die Bartholomé dem Betrachter bei jedem Werk im Gotteslob stellt, ist: »Was sehen Sie?« Ein Beispiel: Gleich zu Beginn des Kapitels über Psalmen, Gesänge und Litaneien ist eine Zeichnung zu sehen, die auf den ersten Blick verwirrend ist. Acht einfache Striche fallen zu Boden – die ersten vier liegen bereits säuberlich waagerecht auf dem Boden, die restlichen vier purzeln noch herab. Woher kommen die Linien, warum fallen sie? Welche Kraft treibt sie an – welche Kraft treibt uns im Leben an?

Legt man den Kopf schräg, so wird aus den Linien vielleicht eine Ziehharmonika, die Luft holt zum nächsten Ton. Sollen auch wir Luft holen zum Leben, Sprechen und Singen?
Ein anderes Bild, das zunächst eindeutig zu sein scheint: eine Treppe. Aber sie ist gewunden – der Betrachter scheint zunächst hinabzublicken, als ginge er die Stufen hinunter, doch in der Mitte ist eine Wendung, die Stufen steigen wieder an. Und auf einmal sind die Gedanken da: Ist das Leben nicht manchmal auch ein mühsames Treppensteigen? Ein sich Winden und Überwinden?

Die Werke wollen die Mehrdeutigkeit

Bartholomés Zeichnungen regen zum Denken an. Vieles wird jeder gleich oder ähnlich sehen – aber nicht alles. In den Interpretationen können sich Lebenssituationen widerspiegeln: In Zeiten der Trauer oder der Belastung bedeuten herabfallende Linien vielleicht etwas anderes, kann eine Wendung in einer Treppe aber auch Hoffnung zeigen.

»Ich stelle mir vor, in welcher Lebensphase ein Mensch ist oder in welcher besonderen Situation er darin blättert, liest und auf eine Zeichnung trifft. Alle diese Facetten des Lebens haben mich beim Zeichnen getragen«, sagt Bartholomé.

Die Werke bebildern nicht einfach die Lieder und Texte im Gotteslob, sie sind ein eigenständiger Teil und spiegeln den grundsätzlichen Charakter des Buches wider. Reduziert nur auf wenige Linien, ganz in schwarz und weiß gehalten, wollen sie die Mehrdeutigkeit – ohne eine Interpretationshilfe.

»Viele Menschen sehnen sich nach Sicherheit, aber damit nehmen sie ihrem Leben die Fähigkeit, sich auf etwas einzulassen, was sie nicht kennen, aus Angst, Unsicherheit, warum auch immer.« Ihre Zeichnungen einfach ohne Worte sein zu lassen, nicht gleich zu werten, sondern auf ein Verständnis zu warten, das wünscht sich die Künstlerin.

Quelle:

Ostendorf, Kerstin: Dünne Linien, große Botschaft, in: Tag des Herrn, Nr. 46 vom 17. November 2013, S. 6.