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Impuls für einen Neuaufbruch

Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann beobachtet die liturgische Feier des Glaubens in den Gemeinden der neuen Bundesländer und reflektiert sie angesichts der kirchlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Für ihn ist klar: Das neue Gotteslob muss sich in der konkreten Situation bewähren.

Herr Professor Kranemann, halten Sie das neue Gotteslob für gelungen?

Nach allem, was ich über das neue Gotteslob bisher weiß, halte ich es insgesamt für gelungen. Das Buch ist im Vergleich zum alten Gotteslob insgesamt reichhaltiger geworden, enthält zum Beispiel Texte für die Taufgedächtnisfeier und die Wort-Gottes-Feier. Alle Einleitungstexte zu den Kapiteln des Gotteslobs und seinen einzelnen Angeboten wurden auf die veränderte kirchliche und gesellschaftliche Situation hin neu geschrieben. Vieles hier ist theologisch gut und überzeugend.

Das Buch bietet einiges an Informationen für diejenigen, die es in die Hand bekommen und einfach darin blättern, ohne mit Kirche und Glauben wirklich vertraut zu sein. Es gab den Wunsch, mehr biblische Texte einschließlich Psalmen in das Buch aufzunehmen. Das ist geschehen. Und so ist es nun zum Beispiel möglich, die Feier der Tagzeiten, also etwa die Laudes oder die Vesper, mit Hilfe des Buches reich zu gestalten.

Sicherlich wird es manche Diskussion geben, aber das wird dem Buch und seiner Wirkung nützen. Über die künstlerische Gestaltung des Buches durch Monika Bartholomé aus Köln wird mancher streiten wollen. Ich finde es gut, dass das Buch künstlerisch gestaltet wurde. Und wenn man über die Art und Weise ins Gespräch kommt und sich mit den Zeichnungen auseinandersetzt, ist das sicherlich im Sinne der Künstlerin.

Sehr erfreulich ist, dass manches Problem, das sich mit dem neuen Gesangbuch abzeichnete, gelöst werden konnte. Lieder wie die von Huub Oosterhuis passten einigen Kreisen in der Kirche nicht mehr. Sie sind aber wieder abgedruckt, übrigens auf das Engagement von Bischöfen hin. Das ist ein gutes Signal, dass unterschiedliche Stile und Frömmigkeiten zur katholischen Kirche gehören und akzeptiert werden.

Das Gotteslob ist für den gesamten deutschsprachigen Raum gedacht. Ist das wirklich sinnvoll und notwendig, wenn man bedenkt, wie viele Kompromisse etwa im Blick auf das Liedgut geschlossen werden mussten?

Der Wunsch, ein in gewissem Umfang einheitliches Liedgut im deutschen Sprachraum zu haben, reicht mehr als 100 Jahre zurück. Es ist eine Möglichkeit, die Einheit einer Ortskirche, in unserem Fall des deutschen Sprachraumes, deutlich zu machen. Lokale Traditionen, die ja sehr langlebig sein können und für die Menschen wichtig sind, werden über die verschiedenen Anhänge in den Regionen berücksichtigt.

Man darf Einheit nicht mit Uniformität verwechseln. Es wird in der Praxis immer ein Ringen geben, welche Lieder gesungen werden. Gottesdienste mit dem Gotteslob werden vielfältig sein wie unsere Gottesdienste heute generell aus verschiedenen Gründen vielfältiger werden. Und das ist auch legitim. Da ist es andererseits wichtig, Punkte zu haben, an denen Einheit der Kirche sichtbar wird. Das neue Gotteslob bietet große Auswahlmöglichkeiten. Es ist also nicht Ausdruck eines irgendwie gearteten Zentralismus, sondern eher von Vielfalt und Gestaltungsmöglichkeiten.

Sie sprachen die veränderte kirchliche und gesellschaftliche Situation gegenüber der Zeit von vor knapp 40 Jahren an, als das erste Gotteslob eingeführt wurde. Was hat sich verändert, worauf das neue Buch reagieren muss?

Die Situation hat sich im Blick auf das Verhältnis der Menschen zur Kirche tiefgreifend verändert. Die Vertrautheit mit der christlichen Glaubensüberlieferung ist im deutschsprachigen Raum massiv zurückgegangen. Vieles, was man früher voraussetzen konnte, kennen zunehmend mehr Menschen nicht. Die Zahl derer, die ganz selbstverständlich bereit sind, sich in der Kirche einzubringen, ist kleiner geworden. Das alte Gotteslob entstand in einem Klima des Aufbruchs. In der alten Bundesrepublik fand die Würzburger, in der DDR die Dresdner Pastoralsynode statt. Heute kämpfen wir um den Bestand von Gemeinden. Die Kirche hierzulande steht im Umbruch. Die Welt ist zudem pluraler geworden. Es gibt eine Menge kirchenferner und sogar konfessionsloser Mitmenschen. Es gibt aber auch neue Chancen für eine offene Kirche und eine unverkrampfte Glaubenspraxis. Das kann und darf ein neues Gebet- und Gesangbuch nicht ausblenden.

1975, als das Gotteslob erschien, waren wenige Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) auch die liturgischen Bücher neu. Man sammelte erste Erfahrungen mit der erneuerten Liturgie in der Feier der muttersprachlichen Gottesdienste und im liturgischen Jahr. Inzwischen gibt es manche Erfahrungen mit Gottesdiensten wie der Tagzeitenliturgie (Stundengebet), einzelnen Wortgottesdiensten und Segensfeiern unter der Leitung von Laien. Die Wort-Gottes-Feiern sind trotz mancher Probleme im ganzen deutschen Sprachgebiet etabliert. Der Erwachsenenkatechumenat ist wichtiger geworden und hat einen selbstverständlichen Platz erhalten. Es gibt einen veränderten Umgang mit Ritualen wie etwa Segensfeiern auch mit Kirchenfernen und Ungetauften. All dies sollte in einem neuen Gebet- und Gesangbuch berücksichtigt werden, und vieles davon ist auch berücksichtigt worden.

Das neue Gotteslob versucht also sowohl auf die rückläufige Vertrautheit mit dem Glauben als auch auf Weiterentwicklungen in der Glaubenspraxis der Kirche einzugehen …

Das Gebet- und Gesangbuch wird sich in der heutigen religiösen Gestimmtheit der Menschen bewähren müssen. Eine selbstverständliche Gläubigkeit ist nicht mehr verbreitet. Mit der Wiedervereinigung und der Globalisierung ist die weltanschauliche Vielfalt gewachsen. Auch an und mit diesem Buch wird sich zeigen, ob das, was die Verantwortlichen der Kirche dieser Situation entgegenstellen, reicht und offen genug ist, um die Menschen zum Glauben einzuladen.

Derartige Bücher müssen immer wieder verändert werden. Das ist nichts Neues. Es sind zu allen Zeiten bestimmte Vorlieben in solche Bücher eingeflossen. Gebet- und Gesangbücher sind Bilder ihrer Zeit. Das neue Gotteslob ist eine Vorlage. Entscheidend ist die Rezeption, der Umgang mit diesem Buch im Gottesdienst und in der persönlichen Glaubenspraxis!

Was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht konkret?

Gottesdienste können mit dem Gotteslob noch vielfältiger und vor allem anspruchsvoll gefeiert werden. Sie können ansprechender sein, weil sie lebendiger gefeiert werden. Ein neues Gebet- und Gesangbuch sollte der Liturgie Impulse geben. Es sollte so genutzt werden, dass die Liturgie eine neue Vitalität erhält. Dafür muss man sich mit dem Buch und seinen Möglichkeiten vertraut machen, und das ist als Erstes notwendig und ist grundlegend.

Wir haben in diesem Gesangbuch wunderbare Lieder aus allen Epochen der Kirchenmusik und Frömmigkeit. Das alte Projekt der Liedpredigt sollte aufgegriffen werden: Predigt über Lieder, die immer wieder gesungen werden, um diese auf das Leben von Christen heute hin zu erschließen. Über die Zeiten hin kann dann ein Dialog im Glauben entstehen, der uns heute nur bereichern kann.

Wenn man Bücher wie »Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder« (herausgegeben von Hansjakob Becker [u.a.], München 2003) oder »Kirchenlied im Kirchenjahr« (herausgegeben von Ansgar Franz, Tübingen 2002) liest, kann man sich von den alten und neuen Liedern faszinieren lassen. Es geht um einen geistlichen »Gewinn«. Den sollten sich Christen und auch die Gemeinden nicht entgehen lassen. Sicherlich wird es bald weitere Arbeitshilfen geben, auch im Internet. Die Homepage www.gotteslob.de ist ein Anfang.

Das Gotteslob beschreibt aber auch ganze liturgische Feiern, leitet in sie ein, gibt zur Mitfeier Hilfe. Es ist ein Bildungsangebot in Fragen der Liturgie. Den »Laien« eröffnet es neue Zugänge zur Liturgie, die möglicherweise wenig oder nicht mehr vertraut sind. Das könnte zum Beispiel Liturgie im Umfeld von Sterben und Tod sein, wo in den letzten Jahrzehnten vieles verloren gegangen ist. Hier könnte manches neu entdeckt werden, könnte aber auch Neues entstehen. Dazu gibt das Gotteslob Hilfestellungen. Aber man muss sie entdecken. Und man muss sich in einer Gemeinde auch gemeinschaftlich auf den Weg machen, sich ein solches Buch zu erschließen. Das kann an Gemeindearbeiten, in Familienkreisen und anderenorts geschehen. Hier ist vor allem Kreativität notwendig.

Das neue Gotteslob ist auf jeden Fall eine Einladung, sich mit seinem Inhalt auseinanderzusetzen und dabei manchen Impuls für den eigenen Glauben zu bekommen. Es ist ein Rollenbuch der Gemeinde, und diese Gemeinde ist nun auch gefragt, wenn das Gotteslob eine Bereicherung sein soll.

Sind viele katholische Christen damit nicht aber überfordert, Gottesdienste zu leiten und zu Hause kleine Gottesdienste zu feiern?

50 Jahre nach Verabschiedung der Liturgiekonstitution auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil mag das immer noch so sein, auch wenn sich vieles, ja sehr vieles auf diesem Gebiet entwickelt hat. Das neue Gebet- und Gesangbuch sollte eine Herausforderung sein, über die Beteiligung aller Getauften an der Liturgie erneut ins Gespräch zu kommen. Hier sind noch viele Schritte in der Praxis zu gehen, hier ist Mut auf allen Seiten erforderlich. Aber ohne das Engagement der »Laien« für die Leitung von Gottesdiensten geht es zukünftig nicht mehr.

Außerdem wird sich religiöse Praxis nicht allein auf den Sonntagsgottesdienst beschränken dürfen. Religiöse Praxis im Alltag, durchaus schlicht und einfach, ist unverzichtbar für christliches Leben. Hier gilt es den einzelnen Gläubigen und den Familien Mut zu machen und Anregungen zu geben. Auch dafür sehe ich im neuen Gotteslob gute Hilfestellungen.

Bei der Liedauswahl fällt eine Mischung aus einer Menge Traditionsgut und einer Reihe neuerer Lieder auf. Manches wird den Gemeinden fremd sein. Für kleine Gemeinden ist es nicht so einfach, neue Lieder zu lernen …

Das muss ja auch nicht von heute auf morgen geschehen. Ich bin sicher, und man sieht es ja auch schon, dass die Bistümer viel investieren werden, um den Gesang im Gottesdienst mit dem neuen Gotteslob zu fördern. Es wird hoffentlich gezielte Hilfen zum Singen in der Gemeinde unter einfachen Verhältnissen geben. Ein einfacher Gesang ist allemal besser als Musik aus der Konserve.

Das Singen ist von alters her liturgische Handlung. Es verschönert nicht den Gottesdienst, sondern ist selbst Teil der Liturgie. Wo man sich um das Singen im Gottesdienst bemüht, trägt dies zu einer guten Gestalt des Gottesdienstes bei. Insgesamt wünsche ich mir, dass das neue Gotteslob zu neuen Aktivitäten im Bereich der liturgischen Bildung wie der Kirchenmusik in den Gemeinden und Diözesen führt.

Um mehr Lieder aus dem Bereich »Neues Geistliches Lied« im Gottesdienst verwenden zu können, werden die Gemeinden aber auch künftig auf zusätzliche Liedsammlungen zurückgreifen müssen …

Das ist keine Frage. Dennoch halte ich das Gesamtangebot des Gotteslobs über die Liedauswahl hinaus für jeden katholischen Christen hierzulande für sehr hilfreich.

Fragen: Eckhard Pohl

Quelle:

Sonderbeilage »Lebendig mitfeiern. Das neue Gotteslob ist da«, S. 2, in: Tag des Herrn, Nr. 37 vom 15. September 2013.