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Wie kam die Liedauswahl im neuen Gotteslob zustande?

Zur Geschichte der Lieder im aktuellen Gebet- und Gesangbuch

von Susanne Haverkamp

Es war eine Mammutaufgabe, die die Arbeitsgruppen für die Lieder des neuen Gotteslobs zu bewältigen hatten. Tausende Lieder wurden durchgesehen und durchgesungen, Text- und Melodievarianten verglichen, Umfragen ausgewertet, textliche und musikalische Rechte erforscht, Chor- und Orgelbücher verfasst.

286 Lieder im Stammteil, rund 180 jeweils in den Eigenteilen der Bistümer: Im neuen Gotteslob gibt es viele neue Lieder, aber auch altbekannte Stücke.
Herausgekommen sind 286 Lieder im Stammteil und jeweils um die 180 Lieder in den Bistumsteilen. Auch viel Neues ist dabei. »Das heißt aber nicht, dass alle neuen Lieder komplett unbekannt sind«, sagt der Osnabrücker Kirchenmusikreferent Martin Tigges. »Viele sind zum Beispiel aus modernen Liedsammlungen längst vertraut.«

Kriterien zu nennen, nach denen die Lieder ausgewählt wurden, ist nicht einfach. »Oft genug war es eine Einzelfallentscheidung« so Tigges. Denn auch wenn ein Lied vielleicht textlich veraltet oder musikalisch einfallslos ist, kann es Gemeinden durch Jahrzehnte hindurch ans Herz gewachsen sein. Oder es ist in der Melodieführung recht kompliziert, überzeugt aber durch seinen Text.

Die Kunst war das Kürzen, nicht das Ausweiten

Berücksichtigt wurde auch, dass Lieder aus vielen Epochen vorkommen, dass es genügend Auswahl für alle liturgischen Zeiten gibt, dass unterschiedliche musikalische Stile erkennbar sind und dass es Lieder sind, die auch ohne Instrumentalbegleitung gesungen werden können.

»Schließlich gab es eine Liste von 554 Liedern«, schreibt Richard Mailänder, Diözesanmusikdirektor in Köln und Leiter der Arbeitsgruppe für den Stammteil, in der Zeitschrift Gottesdienst. Viel zu viele waren das. Daraufhin teilte die Arbeitsgruppe die Lieder in A, B und C ein – von »unbedingt« bis »wenn noch Platz ist«. Mehr Platz als für »unbedingt« war aber nicht.

Die Kunst war also das Kürzen, nicht das Ausweiten, jedenfalls in bestimmten Bereichen. Zum Beispiel Weihnachten. Hier gibt es so viele traditionell tief verhaftete Lieder, dass »moderne Weihnachtslieder« einfach nicht hineinpassten. Auch Ergänzungen wie »Ihr Kinderlein kommet« (GL 248) stammen aus dem traditionellen Liedgut.

Anders in der bisher eher dünn besetzen Rubrik »Österliche Bußzeit«. Dort haben jetzt Lieder aus den 1980er Jahren Eingang gefunden und auch eines mit einem Text des jüdischen Theologen Schalom Ben-Chorin und einer Vertonung aus dem Jahr 2008.

Noch mehr als im Gotteslob von 1975 war die Ökumene ein Thema in der Liedauswahl. Wieder zeigt der Buchstabe »ö« an, dass das betreffende Lied eine gemeinsame Fassung aller christlichen Kirchen ist; ein eingeklammertes (ö) bedeutet, dass Teile des betreffenden Liedes gemeinsam sind, etwa einzelne Strophen oder die Melodie. Insgesamt sind fast 200 der insgesamt 286 Lieder des Stammteils ökumenisch.

Für die Schlussredaktion war hilfreich, dass ausgewählte Gemeinden einen Teilentwurf des neuen Gotteslobs erprobten. Dabei ergab sich beispielsweise, dass der Abdruck fremdsprachiger und mehrstimmiger Lieder (mit Ausnahme von Taizé-Liedern) nicht gewünscht und deshalb weitgehend gestrichen wurde. Ähnlich wie in der großen Akzeptanzerhebung über das bisherige Gotteslob, kamen allerdings auch hier eher Einzelmeinungen zusammen.

»In musikalischen Dingen gibt es eben eine große Vielfalt«, so Martin Tigges. Lieder, die mehr dem Bereich des Familiengottesdienstes zuzuordnen sind, sind vor allem in die Diözesanteile gerückt, vermutlich, weil sie eher »Kann« als »Muss« sind. Nur echte Klassiker wie »Jesus Christ, you are my life« (GL 362), »Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht« (GL 450) oder »Wenn das Brot, das wir teilen« (GL 470) stehen im Stammteil. Auch Lieder, die in verschiedenen Regionen verschieden gesungen werden, finden sich im Bistumsteil, etwa »Tauet Himmel den Gerechten«. Das Bonhoeffer- Lied »Von guten Mächten«, gibt es sogar zweimal: im Stammteil mit der unbekannteren »ökumenischen« Melodie, in einigen Bistumsteilen in der beliebten Vertonung von Siegfried Fietz.

Besser das Gotteslob für jeden Gottesdienst nutzen

»Insgesamt ist es ein Buch für viele verschiedene Anlässe und viele verschiedene Gruppen geworden«, ist Martin Tigges zufrieden und erlebt in Veranstaltungen schon jetzt »große Akzeptanz und viel Wohlwollen«. Sogar familiengottesdiensttauglich sei das Buch, meint der Kirchenmusiker. »Vielleicht verzichten manche Gemeinden in Zukunft deshalb auf ihre selbst gestrickten Liedersammlungen; das sind nämlich fast alles illegale Raubkopien!«

Quelle:

Haverkamp, Susanne: Andere Lieder wollen wir singen, in: Tag des Herrn, Nr. 45 vom 10. November 2013, S. 6.